Die Geschichte des Ortes Wiewohl Kleines Dorf mit großer Historie

Manfred Schröder hat sich schon seit seiner Jugend für Heimatgeschichte interessiert. Der heute 68-jährige pensionierte Lehrer für Chemie, Mathe und Informatik hat in den vergangenen Jahrzehnten in der Nähe seines Heimatortes als Ortschronist im wahrsten Sinne des Wortes jeden Stein umgedreht.

Manfred Schröder

Wiewohl / Dähre – „Seit Ende der 1960er-Jahre habe ich damit als Student angefangen und später dann meine Arbeit intensiviert“, erklärt der Heimatforscher. Während seiner Zeit als Lehrer erst in Wallstawe und später in Salzwedel sowie als Rentner gab es dann mehr Muße für das spannende Hobby.

Wiewohl, der Dährer Ortsteil im nordwestlichsten Zipfel der Altmark, ist ein Dorf mit interessanter Historie. Heute leben zwischen 20 und 30 Einwohner hier. Drei neue kamen kürzlich dazu. Fotos (6): Zuber AZ

Wiewohl ist es kleines Dorf mit großer Historie. Vom urigen Steinbeil bis zur Selbstschussanlage reichen die Geschichten des Örtchens, dessen Einwohnerzahl von 20 bis 30 schwankt und kürzlich drei neue Bewohner aufgenommen hat. Der Dährer Ortsteil Wiewohl stand in der Geschichte schon mehrmals in den Schlagzeilen, wie Schröder bereits kürzlich während der Feierlichkeiten zum 777. Gründungsjubiläum aufzeigte – in einer kleinen Ausstellung seines eigenen Trafoturmes, den er aufkaufte, um ihn nicht verfallen zu lassen.

Da ist zunächst die Geschichte mit dem berühmten Wiewohler Steinbeil-Fund. Steinbeile waren um 2000 vor Christus für die altmärkischen Männer Waffen und Statussymbole der Stammesführer zugleich. Das Salzwedeler Danneil-Museum birgt diesbezüglich ungeahnte Schätze und Funde aus der Region in seinen Mauern. Die steinreiche Sammlung ist sogar über die Kreisgrenzen hinaus berühmt für die Funde aus Jübar und Hanum, auch wenn das Steinbeil aus Wiewohl hier offenbar nie angekommen oder später verschollen ist, wie Schröder erfuhr. Das Beil war wohl Teil der Sammlung des damaligen Lagendorfer Pastors Krüger. Die Streitaxt wurde bei Wiewohl gefunden, und Danneil fertigte eine detailgetreue Zeichnung des Werkzeuges aus der Jungsteinzeit an. Doch entweder der Finder oder der Geistliche behielt den kostbaren 4000 Jahre alten Ackerfund. Vermutlich befindet es sich heute in irgendeinem Fundus oder Privatarchiv. Auch zu DDR-Zeiten landete Wiewohl als Grenzdorf an der militärstrategisch günstig gelegenen Müssinger Höhe in den Schlagzeilen.

Es war eine der größten Tragödien an der einstigen innerdeutschen Grenze: DDR-Regimegegner Michael Gartenschläger baute Anfang der 1970er-Jahre zwei Selbstschussanlagen vom Typ „SM 70“ ab, um der Welt die Existenz der streng geheimen „Todesautomaten“ zu beweisen. Im April 1976 wollte der einst in der DDR inhaftierte und später von der Bundesrepublik frei gekaufte Gartenschläger vom Westen aus die dritte Selbstschussanlage demontieren. Dabei stellte dem damals 32-Jährigen ein Stasi-Kommando eine tödliche Falle. Gartenschläger, der 31 DDR-Bürgern zur Flucht in den Westen verhalf, wurde von neun Schüssen getroffen und verblutete im Grenz-Niemandsland.

Heute steht fest: Das Drama nahm in der Altmark seinen Anfang. Das haben Recherchen von Dietrich-Wilhelm Ritzmann ergeben, der in Göhr bei Schnega das Swinmark-Grenzlandmuseum leitet. Ritzmann gilt als ausgewiesener Experte für das ehemalige Grenzsystem zwischen Ost und West. „Die erste Selbstschussanlage hat Michael Gartenschläger in der westlichen Altmark demontiert. Das war westlich der sogenannten Müssinger Höhe nahe des heutigen Dährer Ortsteils Wiewohl“, so Ritzmann. Erst hätten die DDR-Grenzer das Verschwinden der „SM 70“ gar nicht bemerkt.

Erst bei einer Routinekontrolle wurde ein Loch im Zaun entdeckt und sofort Großalarm ausgelöst.

Als Gartenschläger die erste Selbstschussanlage bei Wiewohl demontierte, herrschte natürlich Panik. „Die öffentliche Zurschaustellung der SM 70 war für die DDR-Regierung natürlich eine komplette Bloßstellung. Die SED-Bosse hatten die Existenz von Todesautomaten bislang immer geleugnet“, erklärt Museumschef Ritzmann. Von da an galt Michael Gartenschläger als Staatsfeind. Dietrich-Wilhelm Ritzmann kramt in seinem umfangreichen Zeitungsarchiv über den Fall: „Spiegel“, „Bild“ und „Die Welt“ haben seinerzeit umfangreich über den Skandal berichtet: Aktenfunde in Stasiarchiven nach der Wende belegen zudem, dass die Stasi darüber informiert war, dass Gartenschläger im Frühjahr 1976 seine dritte „Zaunmine“ von Westen aus demontieren wollte. Das war allerdings nicht in der Altmark, sondern weiter nördlich. Die Stasi-Falle schnappte dort zu, und es kam zu jenem Blutbad, das den Regimegegner im Kreuzfeuer das Leben kostete.

Den Schützen und Drahtziehern des Stasi-Spezialkommandos konnte nach der Wende vor Gericht keine Schuld nachgewiesen werden: Gartenschläger habe bei seiner Grenzverletzung am 30. April 1976 eine Pistole gehabt und zuerst geschossen, hieß es. Die Selbstschussanlagen vom Typ „SM 70“ wurden seit 1970 an der DDR-Grenze installiert. Erst am 30. November 1984 wurden die letzten Anlagen auf Druck der Bonner Bundesregierung demontiert. In 14 Jahren verloren mindestens zehn Menschen durch sie ihr Leben. Insgesamt rund 60 000 „SM 70“ waren 14 Jahre lang auf 440 Kilometern DDR-Grenze in Stellung gebracht worden. Trotz der Abgeschiedenheit als DDR-Grenzdorf gab es in Wiewohl ein reges Dorfleben, wie Ortschronist Manfred Schröder beschreibt. Fast alle Einwohner arbeiteten in der LPG, viele Männer engagierten sich in der Feuerwehr. „Abends traf man sich zu einem Tratsch oder auf ein Bier am Konsum. Das war damals viel unkomplizierter als heute“, so der Wiewohler.

Quellenangabe: VON KAI ZUBER Salzwedeler Nachrichten vom 24.11.2020, Seite 5

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