Sie überlebte die #Gustloff-Tragödie / Dähre gedenkt 100. Jubiläum der Ehrenbürgerin

Dähre – Dieser Tage wäre die Dährer Ehrenbürgerin Ursula Starke 100 Jahre alt geworden. Die ganze Gemeinde gedenkt der engagierten Dame für ihren Einsatz in Sachen Kultur und Musik. Doch dieses Engagement in Dähre wäre niemals möglich gewesen, wäre sie kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gerettet worden.

Um angesichts der grassierenden Kriegstreiberei niemals zu vergessen und um darzulegen, welches unermessliche Leid für Unschuldige jeder Krieg mit sich bringt, schrieb einst der Sachse Manfred Dittrich ein Buch, der zum Bestseller wurde.

Der Untergang des Flüchtlingsschiffes „Wilhelm Gustloff“ am 30. Januar 1945 in den eisigen Fluten der Ostsee stellt die größte Schiffskatastrophe der Menschheit dar. Der nahe Dresden geborene Manfred Dittrich war seinerzeit unmittelbar dabei, als im Winter 1945 die spätere Dährerin Ursula Starke (1924-2008) an Bord des Torpedo-Bootes T36 kam.

Retter selbst entkamen nur mit größter Not

Dittrich absolvierte damals seinen Dienst als Rudergänger auf dem Torpedo-Boot. „Eine der Sternstunden von T36 war ohne Zweifel die Rettung zahlloser Gustloff-Schiffbrüchiger am 30. Januar 1945, als es von russischen U-Boot-Torpedos getroffen wurde und binnen kurzer Zeit sank“, erinnerte sich Manfred Dittrich in seinem Buch „Das letzte Torpedoboot“, welches im Zeitreisen-Verlag erschienen ist. „564 Menschen hat unsere T36-Besatzung unter dem Befehl von Kapitänleutnant Robert Hering binnen einer Stunde gerettet“, erinnerte er sich in seinen Aufzeichnungen stolz und dennoch mit Bitterkeit. In höchster Not entkam das Schiff zwei weiteren herannahenden feindlichen U-Boot-Torpedos. „Wir mussten leider beidrehen, ohne selbst in Todesgefahr zu geraten“, schrieb der Retter in seinen Memoiren.

Unter den 564 Gustloff-Überlebenden an Bord des T36 befand sich auch Ursula Starke. An den Namen der da-mals noch jungen Frau konnte sich Dittrich natürlich nicht mehr erinnern, doch es gab dem geborenen Sachsen gutes Gefühl, dass er und seine Kameraden doch wenigstens einige Opfer vor dem Ertrinken retten konnten.

An Ursula Starke, die beliebte, verdienstvolle Lehrerin und Chorleiterin, erinnert heute in ihrer späteren altmärkischen Heimat Dähre noch ein Weg, der nach ihr benannt wurde. Die unvergessene Dame stammte ursprünglich aus Goldap in der Rominter Heide in Ostpreußen. In mehreren Dokumentationen, unter anderem im „Focus“, hat Ursula Starke als Zeitzeugin über ihre Erlebnisse berichtet. Ihr eigenes Flucht-Trauma aus den Kriegsgebieten über die Ost-see hat sie kurz nach ihrer Ankunft bei Verwandten in einem Schulheft verarbeitet und niedergeschrieben.

Ursula Starke hatte am 30. Januar 1945 einen der begehrten Bootsplätze für die Flucht ergattern können. Kurz nach dem Mittagessen schlief sie ein. „Ein ohrenbetäubender Knall, noch einer und noch einer! Im Nu war es in unserer Kabine lebendig. Die Kinder schrien und hielten die Mütter umklammert. Das Licht ging aus, und furchtbar stinkender Qualm benahm uns fast den Atem“, gab Ursula Starke damals in ihren Erinnerungen zu Protokoll. Unsägliche Dramen spielten sich ab, doch die junge Frau schaffte es in ein übervolles Rettungsboot und schließlich an Bord des Torpedo-Bootes T36. Später erfuhren die Geretteten, dass ein russisches U-Boot die Torpedos abgefeuert hatte.

Unsägliche Dramen im eiskalten Wasser

Ein anderer Zeitzeuge war Heinz Schön. Er war Angehöriger der Handelsmarine und wie Ursula Starke Überlebender des Gustloff-Dramas. Sein Buch „Ostsee ‘45 – Menschen Schiffe Schicksale“, gilt bis heute als Klassiker. Sein Fazit: Rund 2,5 Millionen Menschen wurden 1944/45 über die Ostsee vor dem Zugriff sowjetischer Truppen gerettet. 1081 Schiffe – 672 Handelsschiffe und 409 Kriegsschiffe – waren hieran beteiligt. Dieser Einsatz deutscher Kriegs- und Handelsschiffe in den letzten zehn Monaten des Zweiten Weltkrieges bei der Rettung von Flüchtlingen, Verwundeten und Soldaten über die Ostsee findet in der Geschichte der Seefahrt kein vergleichbares Beispiel. 245 Handelsschiffe gingen bei der Flucht über die Ostsee verloren, sanken durch Torpedotreffer, Minen oder Bomben. 33 082 Menschen fanden dabei den Tod.

Am 30. Januar 1945 gegen 12.30 Uhr war die „Gustloff“ zum Auslaufen bereit. Seit Tagen hatten Tausende an Bord genommene Flüchtlinge diesen Augenblick herbeigesehnt. Laut Heinz Schön haben Kapitän Petersen und seine Besatzung die Schiffslisten zunächst noch gewissenhaft geführt: 6050 Menschen sind an Bord. Schon waren die Leinen los, doch da nähert sich ein kleiner Dampfer, die Reval, mit weiteren Hunderten Menschen an Bord, die um Mitnahme flehen. Trotz Überbelegung werden auch sie noch an Bord der Gustloff genommen. Unter diesen Namenlosen war Ursula Starke.

Die „Gustloff“ lief also mit weit über 7000 Menschen aus. Andere Quellen vermuten gar bis zu 10 300 Passagiere. Man entschied sich für den Weg über die offene See, weil in Küstennähe Unterwasserminen drohten. Dann das Verhängnisvolle: Petersen lässt auf der „Gustloff“ und mitten auf der eiskalten stürmischen Ostsee aus Angst vor einem Zusammen-stoß die Positionslichter setzen.

Aus Angst vor Kollision Positionslichter gesetzt

Ein sowjetisches U-Boot macht daraufhin den vermeintlichen Feind aus. Um 21.16 Uhr feuert der sowjetische Kommandant vier Torpedos auf die „Wilhelm Gustloff“ ab. Drei davon treffen. Das KdF-Schiff läuft voll Wasser und sinkt binnen einer Stunde. Obwohl zahlreiche Rettungsboote an Bord sind, bricht eine Panik aus. Die meisten Boote waren überfüllt und kenterten. „Die ganze Wasserfläche rings um die Gustloff war aufgewühlt von Tausenden um das nackte Leben kämpfenden Menschen“, beschrieb Manfred Dittrich. Frauen schrien verzweifelt nach ihren Kindern, Männer klammerten sich aneinander und zogen sich gegenseitig in die Tiefe des zwei Grad kalten Wassers.

Dann machte der Unterwasser-Horcher von T36 gegen 22 Uhr ein feindliches U-Boot aus. Rudergänger Dittrich versuchte auf Befehl, das eigene Schiff so zu drehen, dass es dem U-Boot keine Breitseite bot. Derweil ging die Rettung weiter. Um diese Zeit gelangte auch Ursula Starke über ein ihr dargebotenes Tauende auf das Torpedo-Boot. Das sowjetische U-Boot hatte seine Stellung geändert und ein Torpedo abgeschossen. Dittrich reagierte und T36 drehte bei. Der Ausguck schrie: „Torpedo-Laufbahn backbord querab!“ „Der Torpedo sauste 30 Meter an uns vorbei“, erinnerte sich der Zeitzeuge.

Gegen 22.53 Uhr waren gut 400 Schiffbrüchige gerettet. Dann wieder ein Torpedo, wieder ein von Dittrich im Ruderhaus eingeleitetes Wendemanöver. Der zweite Torpedo lief 20 Meter an T36 vorbei. Wasserbomben wurden nun auf Befehl des Torpedoboot-Kommandanten geworfen. Dann musste die Rettungsaktion schlagartig abgebrochen werden, um nicht selbst noch den Torpedos zum Opfer zu fallen.

„Der Posten Maschinentelegraf und auch ich fragte uns, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn der in unmittelbarer Nähe befindliche schwere Kreuzer Admiral Hipper sich an der Rettungsaktion beteiligt hätte. Auf jeden Fall aber haben wir 564 Männer, Frauen und Kinder dem sicheren Tode entrissen“, resümierte Manfred Dittrich nachdenklich. Und auch dieser Trost bleibt: Immerhin hat Dittrich mit dazu beigetragen, die spätere Dährerin Ursula Starke zu retten. Auch daran erinnert noch heute stumm der „Ursula-Starke-Weg“ von Dähre nach Hohendolsleben.

Nur 1252 Passagiere der „Gustloff“ konnten insgesamt von weiteren herbei geeilten Schiffen gerettet werden. Die unbestimmte Zahl der Opfer schwankt zwischen 6000 und über 9000 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder.

Quellenangabe: VON KAI ZUBER Altmarkkreis Salzwedel vom 18.10.2024, Seite 5

Links: https://www.adelinde.net/gerettet-ursula-starke-uberlebte-den-untergang-der-gustloff-vor-65-jahren/

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