Stasi-Akten von 1951 belegen Strafverfahren gegen unbeugsame Landwirte
Dähre – Die Dährer Bauern begehrten 1951 gegen die damals noch junge, jedoch hart durchgreifende DDR-Staatsmacht – Konnte das auf Dauer gut ausgehen? 74 Jahre alte Stasi-Akten belegen beschleunigte Strafverfahren gegen unbeugsame Landwirte.
Die Vorfälle, die sich in Dähre im Jahre 1951 ereignet haben, sind in der DDR-Geschichte nahezu einmalig. Nach einer gewaltsamen Bauernbefreiung im Ort gab es ein „Erdbeben bis ins Politbüro“, wie die Akten belegen und heute nur noch ganz wenige ältere Senioren aus der Region wissen. Umfangreichen Recherchen des Berliners Falco Werkentin belegen, was damals in Dähre wirklich geschah. Er erforschte das DDR-Unrecht und stieß dabei in den Protokollen des Politbüros der SED auf die Ereignisse in Dähre im einstigen Kreis Salzwedel.
■ Das Urteil stand wohl von Anfang an fest
Hintergrund der tragischen Ereignisse im Dezember 1951, also dieser Tage genau vor 64 Jahren, war die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in der DDR. Die SED-Funktionäre hatten sich die Entmachtung des selbstständigen Bauernstandes auf die Fahnen geschrieben. In Dähre gab es laut den Recherchen von Falco Werkentin einen für die Altmark einzigartigen Schauprozess.
Hintergrund: Dähre war ins Visier der SED-Bonzen geraten, weil Bauern dort ihre Ablieferungsauflagen nicht wie gewünscht erfüllt hatten. Mit einem fadenscheinigen Prozess sollten sie jetzt zu „mehr Disziplin erzogen“ werden. Die Ereignisse in Dähre spitzten sich laut Werkentin vom 11. bis 19. Dezember 1951 zu: Nachdem das Politbüro einen Beschluss über die sofortige „Aufholung der Rückstände in der Erfüllung der Erfassungspläne bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen“ beschlossen hatten, wurden die Pläne umgehend in Salzwedel umgesetzt.
Kurz nach einer Sitzung am 19. Dezember beschließt der damalige Landwirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt die Durchführung von Prozessen gegen Großbauern. Ziel: Die bäuerlichen Pflichtablieferungen in Dähre sollen erfüllt werden. Der Ort hat seinerzeit 1500 Einwohner und 83 landwirtschaftliche Betriebe. Ins Fadenkreuz der Ermittler gerät Großbauer F.. Er bewirtschaftet in Dähre einen 40 Hektar großen Hof. F. wird vorgeworfen, mit der Ablieferung von 220 Doppelzentnern Kartoffeln, 9000 Litern Milch, 1226 Kilo Fleisch, 589 Kilogramm Hülsenfrüchten und 122 Doppelzentnern Getreide im Rückstand zu sein.

Der Großbauer beruft sich auf Wild-, Saatgut- und Nässeschäden als Grund für die Nichtablieferung. Doch das lässt der Staatsanwalt nicht zu. Noch im Laufe des 19. Dezember kommt es in Dähre zum Schauprozess. Er wird im Schulhaus des Ortes abgehalten. Vor Ort sind seitens der DDR-Staatsmacht Ortsdiener, Bürgermeister, Amtsrichter, Staatsanwalt und Volkspolizei. Rund 40 Dährer verfolgen laut Werkentin die Verhandlung.
Großbauer F., so die Argumentation der Verhandlungsführer, wird wegen der Nichtablieferung der Erzeugnisse Sabotage vorgeworfen. Doch F. wird sowohl durch Aussagen der Dorfbewohner als auch durch Sachverständige in Schutz genommen. Tumult kommt auf und der Prozess wird ein Desaster. Trotzdem spricht der Richter das Urteil, das nach den Forschungen von Falco Werkentin bereits im Vorfeld feststand: Einziehung des Hofes des Angeklagten, 1000 Mark Strafe und anderthalb Jahre Haft.

F. wird in Handschellen abgeführt, doch vor dem Schulhaus fordern rund 70 Dährer die sofortige Freilassung von F.. Rufe werden laut, wie: „Wir wollen frei sein, wie unsere Väter es waren.“ Dennoch gelingt es den Polizisten den Verurteilten mit dem Auto bis zum östlichen Dährer Ortsausgang zu schaffen. Dort schafft es jedoch die aufgebrachte Menge, die Freilassung von F. zu erzwingen. Dieser flüchtet, taucht unter und bringt sich jenseits der DDR-Grenze in der Bundesrepublik in Sicherheit.
■ Untergetaucht und in die BRD geflohen
Wie der DDR-Unrechtsforscher Falco Werkentin weiter recherchierte, ließen die SED-Machthaber diese Pleite in Dähre jedoch nicht auf sich beruhen. Bereits im Juni 1952 hagelt es wegen des kollektiven Widerstandes seitens des Bezirksgerichtes Magdeburg Haftstrafen gegen vier Dährer. Diese Strafen sind hart: Es gibt zwischen einem halben Jahr und dreieinhalb Jahre Zuchthaus. Einige Dährer flüchten in die BRD. Reaktion auf die Revolte der Bauern war später die Duldung der relativ starken Ortsgruppe der Bauernpartei in Dähre als „Alternative“ zur SED.

KAI ZUBER